Wer isst künftig was?

Food Trends gibt’s viele - sie helfen, unsere Gäste besser zu verstehen.

Geht Fleisch noch? Was heißt pflanzenbasiert? Und wie können wir vom Wiener „Steirereck“ lernen? Hanni Rützler, Food-Trendforscherin im Zukunftsinstitut, hat für uns die Lage sondiert. „Es tun sich Chancen auf für Südtirols Kulinarik“, sagt sie.

Hanni Rützler, wie kann man sich den Alltag einer Trendforscherin im Bereich Food vorstellen?
Hanni Rützler: Meist schaue ich in die Sterne - nein, natürlich nicht! Trendforschung besteht darin, „schwache Signale“, die am Beginn jeder Entwicklung stehen, zu erkennen, von kurzen Moden zu unterscheiden und in einen übergreifenden Kontext einzuordnen. Wir sind den Ursachen von Veränderungsprozessen auf der Spur.

Unsere Gastronominnen und Gastronomen interessiert natürlich vor allem, was der zukünftige Gast erwartet. Worauf sollte man sich unbedingt einstellen? Die Corona-Pandemie hat die kulinarischen Ansprüche steigen lassen. Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine und die Inflation haben dann noch eine Preissensibilität ausgelöst. In der Gastronomie schauen jetzt viele vor allem auf die Preise und blenden andere wichtige Entwicklungen aus. Das ist eine gefährliche Strategie, denn es gibt immer jemand, der es billiger macht. Wichtig ist jetzt, das eigene Angebot zuzuspitzen. Mit Fragen wie: Wer bin ich und wer will ich sein? Mit welchen Angeboten kann ich das meinen Gästen am besten vermitteln? Was sind meine Must Haves? Wie halte ich es mit Fleisch? Welche Alternativen - pflanzenbasiert oder vegourmet - passen zu meinem Konzept? Und was ist mit Regionalität? Wie bringe ich hier - Stichwort Local Exotics und Brutal Lokal - Schwung rein? Ein unverwechselbares, authentisches Profil ist für mich der Erfolgsfaktor in der Gastronomie. Das kann eine klare Entscheidung zu einem bewusst regionalen Angebot sein oder die Konzentration auf biologische Ausgangsprodukte, die Fokussierung auf vegetarische Gerichte oder auf eine bestimmte Küchentradition.

Nachhaltigkeit. Das ist ein Thema, das Sie in Ihren Analysen immer wieder herausstreichen. Wie gehe ich als Gastronomin oder Gastronom das Thema am besten an?
Weltweit gewinnt dieses Thema an Brisanz und Wichtigkeit. Viele Gäste erwarten von Gastronomen und Hoteliers Lösungen und sind dankbar für Inspirationen. Hier geht es nicht um Verzicht, sondern um Transparenz, Kreativität, um eine neue Vielfalt und kulinarische Experimentierfreude. Gerade bei jüngeren Zielgruppen kann man da punkten. Erstens sind sie die Gäste der Zukunft. Und zweitens können immer mehr Menschen ein Gericht nur dann genießen, wenn es nicht nur gut schmeckt, sondern auch gut zu denken ist. Wenn mir ein Restaurant vermitteln kann, dass es Fleisch bewusst wählt und nicht austauschbare Billigmassenprodukte einsetzt, kann ich es besser genießen. Das gilt aber auch für Themen wie Food Waste, Circular Food, den Umgang mit Energie, nachhaltige Transportmöglichkeiten etc.

Die Klimadiskussion – aber auch der gesundheitliche Aspekt – rückt den Verzehr von Fleisch und tierischen Produkten in kein schmeichelhaftes Licht. Allerdings ist das Südtiroler Angebot stark von Fleisch geprägt. Welche Entwicklungen erwarten uns hier?
Ja, Fleisch bekommt zunehmend Konkurrenz. Der Konsum tierischer Produkte wird aktuell konsequent hinterfragt. Dafür wächst das Angebot an pflanzenbasierten Ersatzprodukten und wird qualitativ immer besser. Und am Horizont zeichnen sich - Stichwort Cultured Meat (im Labor gezüchtetes Fleisch, Anm. d. Red.) und Präzisionsfermentation - weitere Alternativen ab. Aber gerade diese Entwicklung eröffnet eine Chance für die traditionelle Viehzucht und Fleischproduktion, die im alpinen Raum zum kulturellen Erbe zählt. Lösungen für die Südtiroler Gastronomie zeichnen sich etwa im Food Trend Carneficionados ab, also Fleischliebhaber, die auf die Qualität und Herkunft achten. Sie sind ein wachsender Gegentrend zu Veganmania.

Fleisch als Gegentrend. Wie kann das konkret aussehen in der Südtiroler Gastronomie?
Alpine Viehwirtschaft und Gastronomie können sich auf PremiumFleisch konzentrieren. Und zwar in Synergie. Die Bauern können die Weidehaltung aufrechterhalten, nicht nur bei Rindern, sondern auch in der Schweinezucht. Daraus ergeben sich Synergien für Landwirte und Köche, vor allem wenn sie den Fokus vermehrt auf pflanzliche Gerichte richten.

Wie gelingt es, fleischliebenden Köchinnen und Köchen die Pflanzenlust näher zu bringen?
Das ist die Gretchenfrage. Ich antworte mit dem Erfolgsrezept von Heinz Reitbauer sen., dem Gründer des Wiener „Steirerecks“. Er schickte sein Küchenteam in den 1970er Jahren immer wieder zu den besten Köchen nach Frankreich, um neue Gerichte und Zubereitungsarten kennen zu lernen. Das war die Basis, um das ehemalige Gasthaus zu Österreichs bestem Restaurant zu machen. Damals ging es nicht um Gemüseküche, sondern um klassische High-End-Küche. Das Prinzip aber kann man abschauen. Es gibt in Europa eine Vielzahl an Restaurants, in denen Gemüse so zubereitet wird, dass man Fleisch absolut nicht vermisst. Oder man lädt temporär Gastköche ein, um frischen vegetarischen Wind in die Küche zu bringen.

Haben Sie Beispiele für uns, von denen wir in puncto zukunftsfähiges Kochen lernen können?
In Wien ist es für mich das „Tian“ von Paul Ivic, in der Schweiz das „Oz“ von Andreas Caminada und Timo Fritsche, in London die Restaurants von Yotam Ottolenghi, und natürlich der Klassiker in Paris: Alain Passard. Als gebürtige Bregenzerin fallen mir aber auch Gasthöfe und Hotelrestaurants ein, wo ich gerne esse, wenn ich auf Heimaturlaub bin: das „Mangold“ etwa oder „Das Schiff“.

Sie kennen Südtirol – was schätzen Sie an unserer Küche? Und was sollten wir lieber lassen?
Ich schätze die kulinarische Vielfalt an der Schnittstelle von alpinen und mediterranen Traditionen. Ich hatte immer wieder magische und sehr feine Esserlebnisse in Südtirol. Flächendeckend aber wird das Potenzial zu wenig genutzt. Aktuell ist mein Eindruck, dass die klassische italienische Küche mit Pizza oder Pasta mit Ragù an Boden gewinnt und die traditionelle Südtiroler Küche zumindest in einigen Orten sich auf bewährte Klassiker reduziert. Anders ist es auf den Wochenmärkten und in den Geschäften, dort blüht die einmalige Vielfalt dieser alpinen Gunstlage auf, die ich letzthin auf den Speisekarten vermisst habe.

HANNI RÜTZLER
Die Food-Hellseherin
Hanni Rützler ist eine der führenden Food-Trendforscher:innen Europas. Ein Beweis? 2013 hat sie in London den ersten In-Vitro-Burger (im Labor gezüchtetes Fleisch) verkostet. Als Ernährungswissenschaftlerin und Gesundheitspsychologin beobachtet Hanni Rützler den Wandel unserer Esskultur und neue Entwicklungen aus unterschiedlichsten Disziplinen. Seit zehn Jahren ist sie Autorin des Foodreports des Zukunftsinstitutes, einem Barometer dafür, wie Gäste und Konsument:innen künftig ticken. Die gebürtige Vorarlbergerin ist Gründerin und Leiterin des futurefoodstudios in Wien und begleitet Institutionen und Unternehmen mit strategischer Beratung, Recherchen, Vorträgen, Foodtrend-Touren und Innovationsmanagement.

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