Man ist bereit, wenn man sich traut.
Eigentlich hat ihn die Geschichte hinter den Dingen immer schon interessiert, und diese Begeisterung wuchs mit einem - wie man im Vinschgau sagt - „flotten“ Oberschullehrer. Und so studierte Tom Ortler zunächst Wirtschafts- und Sozialgeschichte in Wien und Ber lin. Doch dann kamen die Ferialjobs in Südtiroler Küchen und der Ein satz als Student in einem Berliner Sternerestaurant, die den jungen Vinschgauer immer mehr in seinem Gefühl bestärkten: Eigentlich ist es genau das, was ich machen will. Und dann kam der Anruf aus Glurns.
Mit einem Master in der Tasche, aber ohne klassische Kochausbildung, beschloss er, die Küchen der Welt zu erobern. Ein unerwarteter Anruf aus der Heimat änderte auch diesen Plan: Ein Freund der Familie wollte den über 800 Jahre alten, geschichtsträchtigen, aber baufälligen Flurins-Turm in Glurns verkaufen. Die Idee, daraus ein Gastro nomiekonzept zu machen, wurde intensiv diskutiert. „Ich hätte nie gedacht, dass ich wieder nach Glurns zurückkomme. Aber die Spannung zwischen Landwirtschaft und Küche, zwischen Produkt und Gericht ist hier, im Ort, wo ich aufgewachsen bin, viel stimmiger als in grauen Metropolen“, sagt Tom Ortler, heute Besitzer und Küchenchef des Flurin in Glurns.
Das Erfolgsrezept: intuitiv handeln und an die Sache glauben.
Natürlich war die Herausforderung groß und die Herangehensweise rückblickend naiv, aber der Erfolg gibt ihm nach fünf Jahren recht. „Du bist bereit, wenn du dich traust – und ich hab mich damals getraut“, so Ortler. Mit Unterstützung der Familie wurde der Turm 2018 generalsaniert, darin neu realisiert: ein Restaurant sowie vier Suiten und zwei Zimmer. Alles markig, und in der Küche ein klares kulinarisches Konzept. Stark regional verwurzelt, weltoffen und urban interpretiert, mit frischem Obst und Gemüse im Sommer und Herbst und mehr Eingelegtem im Winter – und das nicht, weil Fermentieren in ist, sondern weil man damit schon immer über die Runden gekommen ist.
... und es geht weiter: Tom Ortler schreibt Geschichte(n).
21 Jahre ist das Durchschnittsalter seines Teams – engagiert und motiviert, so beschreibt er es. Und dann kam da noch das erste Kochbuchprojekt. Wie der Untertitel Gerichte & Geschichten von Berg, Tal und Welt vermuten lässt, finden darin neben den Rezepten auch die Geschichten hinter den Dingen ihren Platz. Die nächsten Pläne? „Das zweite Buchprojekt steht an … und noch ein weiteres, eher traditionelleres Gastronomiekonzept“, sagt Ortler. Mehr verrät er nicht. Je länger man mit ihm spricht, desto klarer wird, dass Geschichte, Soziologie und Kochen kein Widerspruch sind, im Gegenteil. Ob er den Beruf noch einmal wechseln würde? „Nein, das Kochen bietet mir eine unglaubliche Vielfalt und Autonomie, und das ist gut so.“