Ich bin gut, wenn ich kompromisslos bin.

Nachhaltig und klimafreundlich. In der Küche wird’s da radikal.

Die Gäste müssen mit.

Obstsalat nur in der Saison. Gemüse mit Blatt und Stängel. Zum Frühstück zwei Wurstwaren, basta. Und zu 80 Prozent bio. Kein Meeresfisch, weil Österreich das Meer nur erahnt. Eine Autodidaktin zeigt der Wiener Szene, wo Küche hingeht. Parvin Razavi leitet das 13-köpfige Küchenteam von Hotel Gilbert und Restaurant &Flora in Wien. Sie kocht kreativ, mit Frauenpower und radikal nachhaltig. Dafür nimmt sie in Kauf: „Die Gäste sind nicht immer glücklich, aber sie verstehen uns.“

Frau Razavi, hat auch die Küche einen Auftrag, wenn es um das Klima geht? Und wenn ja, welchen?
Parvin Razavi: Natürlich. Unser Anliegen ist es zuallererst, Lebensmittel nicht zu verschwenden und so wenig Abfall wie möglich zu erzeugen. Als Küche haben wir den Auftrag, uns mit dem ganzen Produkt auseinanderzusetzen und gerade beim Gemüse unserer ausgewählten lokalen Lieferanten darüber nachzudenken, wie wir es ganzheitlich verwenden: So verarbeiten wir auch die Blätter und Stängel der Sellerieknolle oder der roten Rübe. Auch ist für mich der Einkauf bei regionalen Lieferanten zentral. Wir verzichten beispielsweise komplett auf Meeresfische und haben das Fleischangebot sehr bewusst reduziert. Und wo immer es geht, entscheiden wir uns für Bio-Produkte. Da sind wir im Hotel bei circa 60 Prozent, im Restaurant bei 80 bis 90 Prozent.

Wie setzen Sie Regionalität und Bio am Frühstücksbüffet des Hotels um?
Beim Frühstück haben wir tatsächlich unsere Auswahl zugunsten der Qualität stark reduziert. Als Fleischauswahl gibt es ausschließlich Bio-Schinken der Schinken-Manufaktur Thum aus Wien und dazu noch eine Bio-Salami aus der Toskana. Der Käse stammt von einer Bio-Sennerei aus der Schweiz. Es gibt keine exotischen Früchte und im Winter auch keinen Obstsalat. Natürlich wirft das Fragen bei den Gästen auf. Aber dann erklären wir es ihnen. Diese Gäste sind dann vielleicht nicht immer glücklich, aber sie verstehen uns. Und viele neue Gäste schätzen genau diese Konsequenz in der Produktauswahl.

Was heißt dies für Ihre Restaurantkarte?
Für den Winter bedeutet das, dass wir bereits im Sommer viel Obst und Gemüse konservieren, also einlegen und fermentieren. Die vielen Tomaten, die ich bekomme, trockne ich und lege sie ein oder verarbeite sie zu Soßen. So bestellen wir im Winter keine. Die Fleischauswahl ist auch auf der Restaurantkarte reduziert, es gibt aus schließlich Beef Tatar, handgeschnitten von der Hüfte, und Steak vom Beiried (Roastbeef, Anm. d. Red.) vom österreichischen X.O.Beef, also von alten Milchkühen. Auch hier muss ich oft erklären, warum es sich durch eine Fettschicht und eine stärkere Fleischstruktur auszeichnet. Für das Fischgericht haben wir einen Lieferanten mit Produkten aus dem nahen Rax-Gebirge mit eigener Quelle. Der Großteil der Karte besteht aus spannenden vegetarischen Gerichten, die ohne großen Aufwand zu veganen umgewandelt werden können und oft auch glutenfrei sind. Industrielle Fleischersatzprodukte oder Fleisch aus dem Labor sind für mich aber kein Thema. Ich arbeite mit Lebensmitteln und erhalte den herzhaften Geschmack, also das umami, beispielsweise durch den Einsatz von Pilzen.

Wie geht Ihr Küchenteam mit dieser Philosophie um?
Viele bewerben sich bei uns, gerade weil ihnen das Thema Nachhaltigkeit wichtig ist. Besonders Menschen unter 25 Jahren achten darauf, dass das Unternehmen, für das sie arbeiten, ihre Wertvor stellungen teilt – und dass das stimmt, was es sagt, also dass es kein Greenwashing betreibt. Bei uns verkörpert das gesamte Hotel diese Einstellung, das beginnt bei der begrünten Außenfassade, dem Dachgarten mit Kräutern und vielem mehr. Ich achte zudem auf eine Ausgewogenheit zwischen Frauen und Männern in meinem Küchen-Team und darauf, neben der Fünf-Tage-Woche jede zweite Woche drei freie Tage zu gewähren.

Sie wurden für die Stellung der Küchenleitung im „&Flora“ angeworben und zu einem Pitch eingeladen, bei dem Sie vor einer zehnköpfigen Jury bestehen und sich gegen zwei Köche durchsetzen mussten. Was war das Ausschlaggebende?
Da man auf mich zugekommen ist, konnte ich zu 100 Prozent ich selbst sein und meine Art zu kochen, meine Kreativität, meinen Anspruch an Lebensmittel und Gerichte zum Ausdruck bringen. Kompromisslos. Und da bin ich gut. Das hat überzeugt. Zudem ist das Unternehmen sehr weiblich geprägt: Die Hoteliersfamilie hat in den Führungspositionen stark auf Frauen gesetzt. Die fachliche Anerkennung nach wenigen Monaten durch die drei Gault&Millau Hauben ist natürlich eine große Bestätigung und ein Anspruch, den es nun zu halten gilt.

PARVIN RAZAVI
Die Autodidaktin mit den drei Hauben
2023 feiert der Restaurant-Guide Gault&Millau Parvin Razavi als Newcomerin des Jahres: drei Hauben für das kürzlich eröffnete Restaurant &Flora im Hotel Gilbert in Wien. Parvin Razavi, 45, zwei Kinder, Wienerin mit persischen Wurzeln, widmet sich seit 2012 als Autodidaktin ihrer großen Leidenschaft, dem Kochen: Auf einen Foodblog folgten Fernsehauftritte, eine mehrteilige Kochshow, Positionen in spannenden Wiener Restaurants und drei sehr erfolgreiche Kochbücher, darunter Vegan Oriental. Razavis Stärken? Kreativität am Teller, die Förderung von Frauen und ein Führungsstil, der freies Arbeiten und Wertschätzung im Umgang miteinander an erste Stelle setzt.

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