Vom Blatt bis zur Wurzel - Gemüse 360°

Kennen Sie den Geschmack des Brokkoli-Blatts, oder jenen der Frühlingszwiebelwurzel? Haben Sie schon mal den Avocado-Kern verarbeitet oder sich an die Schale der Kartoffel herangewagt? Nun ja, keine all zu typischen Produkten, die in der klassischen Küchenpraxis verarbeitet werden.

Aber was heißt schon klassisch. Was wir beim Fleisch schon längere Zeit erleben, sprich die ganzheitliche und damit auch ethisch vertretbare Verarbeitung des ganzen Tieres, hat mittlerweile ebenso beim Gemüse Einzug in die Küche gehalten. Denn seitdem das Gemüse aus dem Schatten des Fleisches getreten ist und nicht mehr nur als reine Beilage angesehen wird, werden auch ihm mehr Respekt und Entfaltungsmöglichkeiten eingeräumt.

Essen hat sich in den letzten Jahren maßgeblich gewandelt und es ist schon seit geraumer Zeit nicht mehr reine Nahrungsaufnahme, sondern vielmehr eine Verkörperung des eigenen Lebensstils. Vor allem der Megatrend Gesundheit spielte bei der immensen Aufwertung des Gemüses eine bedeutende Rolle und spielt sie nach wie vor. Gesundheit ist mehr denn je ein Synonym für ein gutes Leben. Frische Lebensmittel, die möglichst regional und saisonal bezogen werden und das verstärkte Qualitätsbewusstsein bei der Auswahl der Produkte sprechen für ein neues Bewusstsein, dass Essen der Motor für ein gesundes Leben und einen leistungsstarken Körper sind. Damit einher geht auch der Gedanke der nachhaltigen Umgangsweise, sprich die Optimierung von Abläufen, die Suche von Produzenten in der Region und Schaffung eines Lieferanten-Netzwerks sowie die Reduktion von Abfällen und Verwertung aller Pflanzenteile. Der Konsument, aber vorne weg der Gastronom und Koch sind kreativer und experimentierfreudiger geworden.

Die unterschiedlichen Teile eines Gemüses schmecken teilweise nicht nur gänzlich anders und versprechen ein vielfältigeres Genusserlebnis, diese ganzheitliche Nutzung wirkt sich überdies positiv auf die Wertschöpfung aus. Dabei erkennt man dann nicht mehr nur die unterschiedlichen Verarbeitungsformen der Tomate an, sondern setzt sich auch damit auseinander was man auch mit den weniger beliebten Kernen oder gar mit der dem Tomatengrün selbst machen kann. Die Anerkennung der kulinarischen Vielfalt des Gemüses schärft zudem die Sensibilität für sortenspezifische Eigenschaften und man erkennt wie unterschiedlich die einzelnen Sorten schmecken können. Wie viele das sein können zeigt uns beispielsweise Erich Stekovics, um bei der Tomate zu bleiben: auf seinem Paradeiserhof in der Nähe des Neusiedlersees werden über 3.200 Tomatensorten kultiviert. Bei der Kartoffel findet man eine breite Auswahl im Albulatal in der Schweiz, wo über 33 Sorten an Bergkartoffeln geerntet werden. Aber auch Südtirol hat zahlreiche kleine und größere Betriebe, die alte und neue Gemüsesorten anbauen und diese dann sowohl an den Endkonsumenten als auch den Gastronomen und Koch vertreiben, einer der Wegbereiter ist sicherlich Harald Gasser von den Aspinger Raritäten.

Hinzu kommen die einzelnen Restaurant- und Hotelbetriebe, die sich neben dem Kochen auch am Gemüseanbauen für den Küchenbedarf versuchen. Was weltweit vereinzelt schon seit Jahren praktiziert wird, ist nun auch in Südtirol auf dem Vormarsch. Die Vorteile des direkten Beziehens vom Bauern bzw. der eigene Anbau vor dem Restaurant liegen auf der Hand: der Koch weiß woher die Produkte stammen, kann auch besondere Sorten dadurch beziehen und eigens pflanzen und kann eine Geschichte dazu erzählen. Außerdem, und womit wir wieder bei der Ganzheitlichkeit wären, kann das Gemüses in biologischer Qualität produziert werden, damit dann auch wirklich alles von der Pflanze verwendet werden kann, und das in unterschiedlichen Stadien, sprich von der Sprosse, Blüte bis hin zur Frucht selbst.

Ein gutes Beispiel für die ganzheitliche Verwendung stellt die Fenchelknolle dar. Neben der Knolle selbst, kann auch das Kraut und der Stiel verwendet werden. Und eventuelle Abschnitte, die Richtung Null gehen, können dann noch für einen Gemüsesud genutzt werden – no waste eben. Im Video zeigt Herbert Hintner, Sternekoch im Restaurant „Zur Rose“ in Eppan, wie der Auftritt der Fenchelknolle jetzt im Frühsommer gelingt.

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