„Und dann soll der Hotelier das Klima retten“

Eine Gesellschaft im Wandel. Das Klima in Krise. Und immer noch die Lust, in Urlaub zu fahren. Wie werden wir gut in dem, was wir tun, haben wir den Philosophen Richard David Precht gefragt. Ein Interview.

Herr Precht, ich komme gerade aus Florenz zurück nach Südtirol. Hochsaison überall. Alles ist voll. Die Züge, die Städte, die Landschaft. Gleichzeitig stecken wir in einer Klimakrise fest. Dürfen wir noch in Urlaub fahren, also zum Vergnügen herumfahren?
Richard David Precht: Das muss jeder mit sich selbst ausmachen. Es ist nicht die Frage, ob wir es dürfen, wir werden es tun.

Warum reisen wir überhaupt? Woher kommt das: Urlaub machen?
Ich glaube, Urlaub ist etwas sehr Schönes. Seit es die klassische Lohnarbeitsgesellschaft gibt, machen Menschen Ferien, wenn sie die Möglichkeit dazu haben. Die Horizonterweiterung, etwas anderes zu sehen oder sich auf anderes einzustellen, ist ein großes Erlebnis.

Wir sehen, dass die Hotellerie kreativ ist, immer mehr Komfort schafft und zugleich das gute Gewissen bedient. Qualitätstourismus ist das Ziel. Wo soll das enden aus Ihrer Sicht?
Es gibt kein Ende. Tourismus wird weltweit noch zunehmen, da durch, dass der Wohlstand in vielen Ländern wächst. Das Einzige, was wir tun können, ist, dass wir das so nachhaltig wie irgend möglich gestalten. Ich habe immer dafür plädiert, dass man gewisse Risiken nicht eingehen sollte, z. B. sehe ich den Kreuzfahrtstourismus ausgesprochen skeptisch. In der Corona-Zeit wurde der Tourismus runtergefahren, mit hervorragenden Erfolgen im Mittelmeer, aber ich sehe, dass man daraus nichts gelernt hat. Ich mache keine Empfehlung für etwas, das sowieso nicht gehört wird.

Was ist mit der Generation Z? Die Jungen wollen anders leben, sie wollen weg von der Leistungsgesellschaft, weniger arbeiten. Sind sie die Lösung?
Die Gen Z möchte weniger arbeiten, aber sie möchte nicht über weniger Geld verfügen. Sie möchte das Geld zumindest erben. Das nächste Problem kommt dann schon um die Ecke: Je mehr Freizeit die Menschen haben, desto mehr können sie reisen. Nein, ich glaube nicht, dass die Generation Z die Probleme löst, die die Generationen davor auch nicht gelöst haben. Das zu denken oder ihr aufzubürden, wäre illusorisch.

Ein Lieblingssatz im Tourismus ist: Der Gast will das. Gewisser maßen als Entschuldigung für alles, was möglich ist. Wie radikal soll ein Hotelier oder eine Hotelierin diese Linie verlassen?
Wir nehmen gern den Einzelnen in die Pflicht. Das halte ich grundsätzlich für falsch. Eine entscheidende Frage im Tourismus ist z. B., wie wir Flugbenzin besteuern. Oder ob man Geschäftsmodelle wie den Kreuzfahrtstourismus noch zulassen kann oder mit Auflagen versieht, die ihn nicht mehr attraktiv machen. Aber das zu entscheiden ist Aufgabe der Staaten. Der einzelne Hotelier ist das schwächste Glied in der Kette. Er hat recht, wenn er aus Geschäftsinteresse das anbietet, was der Gast sich wünscht.

Wissen wir Menschen immer, was wir wollen?
Wir glauben zu wissen, was wir wollen, aber wir wissen nicht immer, was uns guttut. Das ist das eine. Das andere ist, dass wir unsere Veränderungsbereitschaft unterschätzen. Es gibt eine lange Reihe von Verboten, denen sich die Menschen schnell angepasst haben.
Wir haben Fluorwasserstoff verboten und dadurch das Ozonloch so gut wie geschlossen. Wir haben bleihaltiges Benzin verboten und damit den sauren Regen besiegt. Sogar das Rauchverbot hat sich durchgesetzt. Die Regierungen müssten also viel beherzter sein in puncto Klimaschutz, aber wir leben in einer Aufregungsdemokratie, niemand will sich dem medialen Gegendruck aus liefern. Und dann soll am Ende der Hotelier das Klima retten. So funktioniert das nicht.

Die Branche ist eh im Dilemma. Alle warten händeringend auf Fachkräfte, gleichzeitig setzt man keine große Hoffnung auf die Jungen. Wie werden Hotels in Zukunft funktionieren?
Die Lösung ist das bedingungslose Grundeinkommen. Wenn jeder einen gewissen Betrag vom Staat bekommt, für den er nichts tun muss, erhöht das die Arbeitsmotivation. Und zwar nach folgender Logik: Ich arbeite nicht hauptberuflich, sondern halbtags oder auf Zeit, und was ich dazu verdiene, darf ich behalten, das muss ich z. B. bis zum Betrag von 20.000 Euro nicht versteuern.

An Ihrem Vorschlag gibt es immer wieder Kritik. Lieber setzt man auf die Digitalisierung. Wenn das Menschliche wegfällt, wie glücklich wird uns das machen?
Das passiert nicht. Es gibt Bereiche, in denen Menschen Wert darauf legen, mit Menschen zu tun zu haben. Mein Lieblingsbei spiel ist die Hotelrezeption. Wenn ich in Skiurlaub fahre, möchte ich mich am Empfang nicht mit einem Computer rumschlagen, sondern jemandem begegnen, der freundlich ist und schon nach Skiurlaub aussieht. In Logistik und Verwaltung kann KI natürlich guten Dienst leisten. Man kann auch die Großküche automatisieren. Ich würde aber niemals in einem Restaurant essen, wo ich von Robotern bedient werde. Überhaupt meine Generation. Das werden ein paar junge Leute ein paar Wochen lang witzig finden, und dann ist das wieder vorbei. Ein solches Risiko kann die Gastronomie nicht eingehen.

Zählt das Zwischenmenschliche wirklich? Sind wir nicht eher hemmungslose Konsumwesen auf der Jagd nach individuellen Erlebnissen?
Urlaub ist natürlich Konsum. Aber es gibt sehr viele Beispiele dafür, dass der reine Schnellkonsumtourismus rückläufig ist. Was steigt, ist der Luxustourismus. Wichtig ist, dass man dort nachhaltig arbeitet.

Wie nachhaltig kann Luxus sein? Wie schätzen Sie das Greenwashing in diesem Bereich ein?
Es gibt Nachhaltigkeit, die größer verkauft wird, als sie ist. Aber es ist gut, dass die Frage überhaupt da ist. Anders als vor 20 Jahren macht man sich heute Gedanken: Was passiert mit Essensresten, wie kann man recyclen, kommen die Früchte aus dem eigenen Garten? Ich kenne Mallorca ganz gut. Dort überlegt man: Wohin fließen die Abwässer, woher soll das Trinkwasser kommen? Die neue Regierung auf der Insel pfeift zwar auf Ökologie, aber sie muss sich die ökologischen Fragen trotzdem stellen, weil sie sonst Probleme bekommt, z. B. Trinkwasser für eine so große Anzahl von Touristen zu haben.

In Ihren Büchern und Vorträgen plädieren Sie für eine Kultur des Genug. Wie erkennt man, was wichtig ist und was man weglassen kann?
Das kann kaum jemand, weil sich das schnell ändern kann. Für manche ist es das Wichtigste, sich eine Eigentumswohnung zu leisten. Dann werden sie von ihrem Partner verlassen, und plötzlich ist das Wichtigste, nicht allein zu sein und einen neuen Partner zu finden. Im Leben gibt es keine feste Hierarchie. Das Leben kommt immer dazwischen.

Worauf möchten Sie nicht verzichten?
Unabhängigkeit. Eines der größten Luxusdinge ist, dass ich meine Meinung frei äußern kann, dass ich Entscheidungen treffen kann, ohne dass mich ein Chef komisch anguckt oder ich meinen Job verliere. Das trägt sehr zu meinem Lebensglück bei.

Freud sagt, der Mensch ist ein unermüdlicher Lustsucher. Wir werden also weiterhin in Urlaub fahren?
Freud kennt Lustgewinn und Leidvermeidung. Ich denke, wer abwägt, wie viel Leid der Lustgewinn erzeugt, geht klüger mit seiner Lust um. Wenn ich weiß, dass mein Lebensstil dazu führt, dass ich meinen Kindern eine kaum noch bewohnbare Erde hinterlasse, dann sehe ich, dass ich den eigenen Lustgewinn mit der Leidvermeidung für andere ausbalancieren muss.

RICHARD DAVID PRECHT
Einer, der für uns nachdenkt.
Richard David Precht ist Philosoph, Publizist und Autor und einer der profiliertesten Intellektuellen im deutschsprachigen Raum. Er ist Honorarprofessor für Philosophie an der Leuphana Universität Lüneburg und für Philosophie und Ästhetik an der Hochschule für Musik Hanns Eisler in Berlin. Prechts Bücher sind internationale Bestseller und wurden in mehr als 40 Sprachen übersetzt. 2021 erschien Von der Pflicht. Eine Betrachtung, im April 2022 folgte Freiheit für alle. Das Ende der Arbeit wie wir sie kannten. Darin zeigt er, wie die Veränderung der Arbeitswelt unsere Gesellschaft verändert – und welche Gestaltungsaufgaben auf die Politik zukommen, insbesondere der Umbau des Sozialsystems hin zu einem bedingungslosen Grundeinkommen. Seit 2012 moderiert Richard David Precht die Philosophiesendung Precht im ZDF. Im ZDF-Podcast Lanz & Precht sprechen Precht und Markus Lanz über die gesellschaftlich und politisch relevanten Themen der Zeit. Am 25. Oktober 2023 war Richard David Precht auf Einladung des HGV auf der Fachmesse Hotel in Bozen zu Gast.

Zurück zu allen Beiträgen im Genussjournal