Aperitivo 2.0 - the F&B Heroes Workshop
Der Aperitif ist ein fixer Bestandteil der Alltagskultur, vor oder nach dem Ende von Veranstaltungen oder dem Essen. Sogenanntes „post Ethnic food“ macht vor einem Aperitif nicht halt – also die absolute Verschmelzung von unterschiedlichen Geschmackserlebnissen, Konsistenzen und Kompositionen. Im Hinblick auf der Kurs „TrendRadar. Aperitivo 2.0“ hat das Gustelier mit den internationalen Referenten Antje de Vries und Sandro Ciani, F&B Heros, über den Trend des innovativen Aperitifs gesprochen.
Gustelier: Den Aperitif gibt es vor und nach dem Essen, am Vormittag wie am Abend. Was genau ist er denn nun eigentlich? Antje de Vries und Sandro Ciani: Der Aperitivo vereint Beverage und Food auf eine leichte, spielerische Art und Weise und genau das ist die Chance für einen angeregten Einstieg in einen Abend oder ein Event. Dabei können quasi alle Grenzen überschritten und mit Kreativität kombiniert werden. Post-Ethnic ist das Stichwort - die entspannte Vermischung verschiedenster Küchenstile, Zutaten und Würzungen über alle Grenzen und Regeln hinweg ist gerade beim Aperitivo einfach umzusetzen, erweitert unorthodox kulinarische Horizonte und stimmt die Gäste auf die genussvolle Reise ein. So kann ein anatolisch inspiriertes Häppchen mit Südtiroler Augenzwinkern und einem New Nordic inspired Cocktail der Einstieg in einen aufregenden Abend sein. Knackig und verführerisch sollte das Angebot sein, wenige Komponenten, gut für den Gast ausgewählt. Food & Beverage sollte dabei als Miteinander verstanden werden, um somit ein kulinarisches Gesamterlebnis für den Gast zu schaffen.
Gustelier: Der Aperitif hat meist keinen gesunden Anspruch, bedenke man die Häppchen oder die meist alkoholbasierten Getränke. Welche Parameter sollten Gastronomen für einen gesunden und zeitgemäßen Paradigmenwechsel beachten? Antje de Vries und Sandro Ciani: Sollte man den Faktor “healthyness” im Apéro-Bereich spielen wollen, dann gibt es eine, die Gesamtkonzeptionierung unterstützende Faustformel: “weniger is(s)t mehr”. Die servierten Food-Komponenten können frei von tierischen Produkten oder aber mindestens frei von zusätzlichen tierischen Fetten sein - Stichwort “substitution womöglich, geschmacklich wie physikalisch”. Oft gibt es pflanzliche UMAMI-Schwergewichte, die in unserem daily business noch nicht angekommen sind: Miso, getrocknete Pilze, Aubergine und natürlich Tomate. Als Verkaufstitel könnten diese Arrangements dann “low-peritivo” oder “freetivo” genannt werden: eben “low” an Alkohol und tierischen Produkten oder aber ganz alkoholfrei und vegan. Klassischer Drink für “low” wäre der “Negroni Spagliato” und ein Klassiker für alkfrei ist der “Crodino Spritz”. Auch kann man tolle Classic Drinks, wie “sours and fizzes” hervorragend mit “Aquafava”, dem Einweichwasser von z.B. Kichererbsen, herstellen: es ersetzt das Eiweiß in Form und kann entsprechend geflavoured, einen Fizz auf eine andere Dimension heben, als es ein stark selbstschmeckendes Eiweiß je geschafft hätte. Kombucha und Wasserkefir bringen ebenfalls gesunde und geschmacklich aufregende Impulse in die Aperitivo-Kultur - so können die fermentierten Drinks beispielsweise in einem Spritz den Frizzante ersetzen und geschmackliche Tiefe in den Aperitivo bringen.
Gustelier: Food-Pairing macht auch vor dem Aperitif nicht Halt. Gibt es grundlegende Regeln, die Gastronomen einhalten sollte? Antje de Vries und Sandro Ciani: Das Miteinander ist das Schöne - mal ergänzend, mal kontrastierend - so kommen Getränke und Speisen und verschiedenste Zutaten beim Apéritivo zusammen. Dabei geht es nicht um ein Battle, sondern um eine reizvolle und abwechslungsreiche Customer Journey mit einer durchdachten Dramaturgie, die den Gast neugierig hält. Mit dem Food-Pairing kann auch mit Flavor-Pairing eine neue Dimension der Verbindung zwischen Speisen und Getränken gestaltet werden. So kann eine Geschmacksnote im Essen mit der komplementierenden Note im Drink begleitet werden - Tomaten-Basilikum-Gelee trifft den Franciacorte mit Himbeersirup und die Geschmacksbombe fügt sich im Mund zu einem Feuerwerk zusammen.
Gustelier: Seit jeher hat der Aperitif eine soziale Funktion, man trifft sich mit Freunden, genießt Getränke, dazu kleine Köstlichkeiten. Wie kann die Gastronomie einen Beitrag leisten, den sozialen Charakter hoch zu halten? Antje de Vries und Sandro Ciani: Krisen, wie es die aktuelle Pandemie eine ist, schafft auch immer einen Extraschub an Kreativität, und so könnte man darüber nachdenken, wie ein “Aperitivo caterato” aussehen könnte: professionell bis ins letzte Detail vorbereitet und verpackt, kann der Besteller dann zuhause oder im kleineren Berufsfeld mit wenigen Handgriffen genau den Effekt herstellen, den der Aperitivo im Restaurant, in der Bar oder beim Veranstaltungsempfang eben erzeugen kann: unbeschwertes Zusammensein, mit den essentiellen Zutaten, die es braucht, um mit Menschen in den Austausch zu kommen. Das ginge sogar bis hin zum “Apero remoto” oder “Aperitogo”, wo man den Event versucht, “online” nachzuspielen oder man verpackt alle Zutaten so, dass der Kunde/Gast alles In der Bar/Hotel/Restaurant abholen kann.
Gustelier: Das Auge isst und trinkt immer mit. Wie siehts beim Aperitif aus? Antje de Vries und Sandro Ciani: Ein Drink ist ein Gericht - eine Inszenierung - ein Look. Von der passenden Glaswahl - Understatement bis Grande Classe - über die Garnitur - Purismus bis überbordende Kräuter- und Blütengarnitur - bis hin zum Drink selbst sollte alles durchdacht sein. Der Apero sollte die Identität des Ladens in Geschmack, Farbigkeit und Style ausstrahlen und den Gast begeistern. Auch hier gibt es quasi keine Grenzen und die Natur und die Küche können viel Inspiration bieten. Zutaten, wie beispielsweise Wildkräuter und Blüten beim Foraging können als Blumenwiese oder als Waldboden den Drink begleiten. Gemüse in seiner Pracht kann aus einem Drink ein Erlebnis machen, kann als Saft Drinks aromatisieren, als Pulver Akzente setzen und geraspelt oder gehobelt eine erfrischende Garnitur und Würze sein. Und wenn es ganz spielerisch sein soll, darf auch mal eine rosa Zuckerwattewolke über dem Rosé Champagner schweben wie beim plant forward fun food Concept “vunk food”.
Gustelier: Nehmen wir an, es gäbe einen Südtirol-Aperitif – was müsste Ihrer Meinung nach darin unbedingt vorkommen? Antje de Vries und Sandro Ciani: Ein “Aperitivo-Alto-Adige”, abgekürzt: AAA (andere Bezeichnung für “access all areas” - er muss immer alle drei relevanten Wahrnehmung Eingänge des Gastes stimulieren 1. Optik, 2. Geruch, 3. Geschmack. Dann stehen die drei “As” noch für “authentisch”, “aktuell”, “animierend”. Der “AAA” repräsentiert zugleich die schroffe Natur mit Bergen, Wind und Kälte, als auch die daraus entstehende Geselligkeit, Wärme und Sonne. Er ist Berg, Tal, kalt, heiß, warm und weich in einer Komposition zusammengefasst: er hat “access (to) all (these) areas!” Ein Stück Dolomitstein, eisgekühlt, dazu ein Gin, mazeriert mit den Beeren, Blättern und Nadeln der Wälder, aufgegossen mit einem Spumante aus der Region. Ein veganer Speckchip darüber gelegt und ein gefülltes fermentiertes Weinblatt dazu und ein intensiver Abend beginnt.